Vor einigen Tagen ist es wieder passiert. Ich sehe eine Dokumentation im ZDF über das „Frauenproblem“ Menopause. Ein Thema, das in der Gesellschaft recht unsichtbar ist, bekommt etwas Aufmerksamkeit. Unter den eingeladenen Frauen ist eine Expertin, die sich für mehr Sichtbarkeit des Themas einsetzt. Klingt vielversprechend, denke ich mir, und folge ihr auf Instagram.
Nur kurze Zeit später taucht in ihrer Insta Story der Tipp für den totalen Zuckerverzicht mit der Anmeldung zum Online Kurs auf: 580 Euro für eine Masterclass, alternativ eine abgespeckte Version für 290 Euro. Für Informationen, die eigentlich von meiner Ärztin oder meinem Arzt kommen müssten. Und schon wieder schleicht sich dieses Gefühl ein: Ich muss etwas tun. Ich kann es noch besser machen. Ich soll es nicht als natürlichen Prozess ansehen.
Dieses Beispiel ist eins von unzähligen. Online-Kurse boomen und viele Anbieter:innen sind damit zu Multimillionär:innen geworden. Warum dieses Geschäftsmodell so gut funktioniert und warum es vor allem Frauen sind, die hohe Summen in diese Kurse investieren, erfährst du in diesem Artikel.
Warum Frauen besonders empfänglich für Online-Kurse und -Produkte sind
Frauen wird seit Generationen beigebracht, dass sie nie ganz genügen. Es reicht nicht, einfach nur zu leben oder zu sein. Wir sollen schlanker, schöner, strukturierter, achtsamer, weniger gestresst, sportlicher, spiritueller, finanziell unabhängig, die perfekte Partnerin, gesünder ernährt und besser organisiert sein. Und am besten alles gleichzeitig.
Dieses Gefühl ist tief eingeprägt. Die Werbeindustrie nutzt es seit eh und je, und Social Media perfektioniert es durch Algorithmen. Heute zeigt jeder zweite Post, wie es a) noch besser geht und b) wo es Frauen immer noch richtig schlecht geht. Immer mit dem unausgesprochenen Subtext: Du bist noch nicht da, wo du sein solltest.

Genau hier setzen Online-Kurse an. Sie liefern das passende Angebot zum gefühlten Mangel. Für jedes „Ich müsste eigentlich …“ gibt es einen Kurs, für jede Unsicherheit eine Masterclass und für jedes „Ich bin nicht genug“ ein Versprechen auf Transformation. So wird aus einem künstlich erzeugten Mangel ein Markt. Und aus einem persönlichen Gefühl ein Geschäftsmodell.
Warum Frauen so oft Online-Kurse kaufen – und verkaufen
Auf Social Media sehen wir tagtäglich Frauen, die scheinbar alles erreicht haben. Sie arbeiten unter Palmen, verdienen sechsstellige Beträge, reisen durch die Welt oder kaufen sich Häuser an Traumorten. Sie tragen schöne Kleider, wirken entspannt, glücklich und frei. Oft verkaufen sie diesen Lifestyle als etwas, das jede Frau erreichen kann – wenn sie nur weiß, wie. Hierfür sind Online-Kurse ideal, in denen sie anderen zeigen, wie sie ebenfalls mit Online-Kursen (z. B. durch Coaching) hohe Umsätze generieren können. Die allerwenigsten schaffen das am Ende, aber die, die sich gut vermarkten können, werden immer reicher.

Auf der anderen Seite zeigt uns Social Media täglich, was bei uns noch nicht stimmt. Wir müssen schön sein, gesund essen, emotional reifen, achtsamer kommunizieren. Wir müssen unsere Vergangenheit aufarbeiten, unser inneres Kind heilen, weiblicher werden, aber auch klarer, gelassener, resilienter. Nicht nur das, wir müssen auch erfolgreich sein, finanziell frei, selbstständig, unabhängig.
Wir müssen investieren, Vermögen aufbauen, Eigentumswohnungen besitzen, uns mit Finanzen auskennen, Wohlstand manifestieren. Wir müssen die richtige Morgenroutine finden, unser Nervensystem regulieren, unsere Energie ausgleichen, unsere Frequenz erhöhen. Wir müssen besser werden. All das passiert subtil, weil wir es kennen – und Frauen nicht einfach sagen können, dass sie einfach nur zufrieden sind.
Wie kommen wir aus der Optimierungsfalle heraus?
Vielleicht ist die eigentliche Frage nicht, warum Frauen Online-Kurse buchen, sondern wie wir aufhören können, uns ständig als unfertig zu betrachten. Solange sich das Gefühl hält, dass wir immer noch besser werden müssen, bleibt das System stabil. Solange wir glauben, dass jemand die ultimative Lösung hat, die uns endlich komplett macht, wird es immer ein neues Angebot geben. Solange wir glauben, dass ein Kurs teuer sein muss, um uns zu helfen, bestätigen wir das System, das uns den Mangel immer wieder spiegelt.
Ein erster Schritt könnte sein, einmal darauf zu achten, wie oft uns dieses Gefühl begegnet. Wie oft wir in den sozialen Medien sehen, hören und lesen, was wir alles noch verbessern könnten und wo wir noch zu schwach sind. Wie oft uns suggeriert wird, dass es da draußen eine Antwort gibt, die uns fehlt – und wie oft diese Antwort mit einem Preisschild versehen ist.
Statt immer weiter an uns zu arbeiten, könnten wir uns fragen, wer eigentlich von unserer Unzufriedenheit profitiert. Wer daran verdient, dass wir nie ankommen. Und was es mit uns macht, wenn wir immer weiter glauben, dass wir erst noch etwas tun müssen, um wirklich gut genug zu sein. Vielleicht kommen wir nicht aus dieser Falle, indem wir uns noch einen weiteren Plan zur Selbstoptimierung machen, sondern indem wir uns erlauben, einfach mal stehenzubleiben und zu entspannen.
Und allem Geraune von Female Empowerment zum Trotz: Der Erfolg der Influencerinnen hängt eben davon ab, dass ihre Followerinnen sich nicht empanzipieren. Denn nur dadurch können sie aus ihnen Profit schlagen, ihnen Produkte und Workouts verkaufen.
– Aus dem Buch „Influencer – Die Ideologie der Werbekörper“ von O. Nymoen und W. M. Schmitt, Kapitel „Die Emanzipation der Wenigen“
Lernen ist nie verkehrt
… aber es muss nicht für hunderte oder tausende Euro sein. Es gibt unglaublich viele kostengünstige oder sogar kostenlose Alternativen mit guter Qualität. Ob die VHS, die eine breite Palette an Kursen in sämtlichen Bereichen anbietet, oder Plattformen wie Domestika, Eventbrite, Udemy oder Skillshare – sie bieten allesamt preiswerte Kurse, die inspirierend sind und weiterhelfen.
Für Business- und Versicherungsthemen kann man auf Webseiten wie dem Bund der Versicherten oder der IHK zurückgreifen, die teils sehr kostengünstige Angebote bereitstellen. Wenn es um Gesundheitsthemen geht, bieten Krankenkassen häufig kostenlose Webinare und Präventionsprogramme an.
Echte Spiritualität ist ebenfalls sehr gut zugänglich, z. B. bieten viele Gemeinschaftszentren oder Meditationszentren manchmal sogar kostenlose Kurse und Treffen an, die eine wertvolle und tiefgehende Erfahrung ermöglichen. Bücher gibt es ebenfalls für wenige Euro zu fast allen Themen. Und nicht zu vergessen: ChatGPT ist eine fantastische Unterstützung, wenn man individuelle Fragen hat. Und das völlig kostenlos.
Hinweis: Dieser Artikel richtet sich an Frauen und alle, die sich als solche fühlen. Es geht nicht darum, Frauen zu generalisieren, sondern die Strukturen zu hinterfragen, die hinter diesen Angeboten stehen.
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